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The Grandmaster: Waagerecht, senkrecht und einfach großartig!

The Grandmaster. Wong Kar Wai teilt in einem opulenten Bilder- und Klangreigen (kleine) Weisheiten über das Leben und bricht ein wenig die Regeln westlicher Erzählstrukturen.

„Kung Fu – zwei Worte: waagerecht und senkrecht. Nur der gewinnt, der stehen bleibt. Stimmst Du mir zu?“
The Grandmaster (Ip Man) Zitat

tl;dr: Wer Martial Arts oder Wuxia schätzt, kommt an dem Streifen von Wong Kar Wai nicht vorbei. Genreverächter schauen besser dennoch genauer hin, denn manche Filme sind einfach große Kunst!

Story: Die offizielle Synopsis sagt eigentlich alles: „In martial arts there is no right or wrong, only the last man standing.“

Oberflächlich betrachtet erzählt der Film die fragmentierte Lebensgeschichte des Wing Chun Kampfkünstlers Yip Man (auch Ip Man, dargestellt von Tony Leung), dem Meister von Bruce Lee und seinen Begegnungen mit der von Rache getriebenen Gong Er (Zhang Ziyi), einer Ärztin und Kung Fu-Kämpferin. Sie liebt ihn, doch ihr Vater wurde von einem seiner Schüler ermordet …

Das Leben ist keine Kampfschulidylle. Nichtsdestotrotz tritt der sicherlich einschneidende Zweite Japanisch-Chinesische Krieg (7. Juli 1937 – 2. September 1945) zugunsten persönlicher Begegnungen und Einblicke in den Hintergrund.
Augenfällig: Martial Arts – hier geht es nicht um Kampfsport, sondern um Kampfkunst als eine bild- und klangschöne Allegorie über das Leben. Die Minuten und Stunden der Protagonisten mögen gezählt sein, aber die Augenblicke sind es nicht. The Grandmaster versucht erst gar nicht, alle Wegmarken der gezeigten Figuren zu dokumentieren. Wozu auch? Es geht um das Festhalten wesentlicher Momente und Begegnungen. Nicht umsonst friert der Film immer wieder zu Schnappschüssen ein.

Im Vordergrund stehen die Ästhetik der Bilder, des Tons und die melancholischen Perspektiven der Handlungstragenden auf ihre Lebenswirklichkeiten. Interessanterweise „scheitern“ die, die von ihrem Ehrgeiz oder von Rache vorangetrieben werden.

Manches mag hektischen Zeitgenossen langatmig und prätentiös erscheinen. Die episodenhafte zeitspringende Erzählweise folgt nicht der „westlichen Logik“.
Robert van Gulik deutet in seinen Richter Di-Romanen an, dass in chinesischen (asiatischen?) Geschichten andere Schwerpunkte gesetzt werden als bei uns. Das Warum tritt in den Hintergrund und das Wie tritt in den Vordergrund. Wie fühlen die Figuren und wie gehen sie mit Erfahrungen um.
Desinteressierte und denkfaule Zuschauer langweilen sich unter Umständen, weil sich der Film die Luft zum Durchatmen nimmt. Auf einen Knalleffekt folgt nicht unmittelbar ein noch größerer.

Nichtsdestotrotz zeigt The Grandmaster glänzend, wie man Geschichten, Bilder und Sound zu einem homogenen Ganzen vereint.
Hollywood opferte diese Tugend in den letzten Jahren allzu oft auf dem Altar der geist- und saftlosen Effekthascherei. Aktuelles Beispiel – der unerquickliche und reaktionäre World War Z mit Brad Pitt.

„Remember when I told you that there is nothing to regret in life? It’s all bullshit. If life had no regrets it would be really boring.“
The Grandmaster (Gong Er) quote

Haben: Die Bilder, der Sound(track von Shigeru Umebayashi, Nathaniel Méchaly und Stefano Lentini) und die (Haupt-)Darsteller, die man ruhigen Gewissens als Schauspieler bezeichnen kann.
Die Bildgewalt mancher Szenen zeigt dem immer comichafteren Computerspielgehabe vieler amerikanischer Kinoproduktionen, dass ein großes Budget und mächtige (Rechen- und Trick-)Maschinen keinen „guten“ Film ausmachen. Es sind vor allen Dingen die Menschen vor und hinter der Kamera.
Soll: Wer wissen will, wer Yip Man war, liest besser eine Biografie. Überdies treten die historischen und politischen Gegebenheiten sehr weit zurück. Die individuellen Schicksale und Lebensphilosophien bleiben stets im Mittelpunkt der Betrachtung. Yip Man kommentiert zwar seine Kunst. Kung Fu gehöre grenzenlos allen Menschen, aber darüber hinaus lässt sich der Regisseur zu keiner „richtigen“ sozialen oder gar politischen Position hinreißen. The Grandmaster bleibt in diesem Punkt sehr wage. Ein zweifelhaftes Zugeständnis an das Produktionsland China (Hong Kong)?
Verdikt: Wer einfache Antworten oder gar die eine Antwort sucht, wird sie in The Grandmaster nicht finden. Unter Umständen handelt Wong Kar Wais aktuelles Meisterwerk schlicht und ergreifend von der Menschlichkeit in all seinen vermögenden und unvermögenden Facetten.

Es mag sein, dass Wong Kar Wais momentan letzter Streich einer anderen Tradition verpflichtet ist, aber dennoch bietet sich eine gewisse Nähe zu Charlie Chaplins großem Diktator an.

“ … We have developed speed, but we have shut ourselves in. Machinery that gives abundance has left us in want. Our knowledge has made us cynical. Our cleverness, hard and unkind. We think too much and feel too little. More than machinery we need humanity. More than cleverness we need kindness and gentleness. Without these qualities, life will be violent and all will be lost …“
The Great Dictator (Charlie Chaplin, Wikipedia – 30.06.2013)

Ip Man ist weder vom Ehrgeiz noch von Rache getrieben, er bleibt trotz aller Schicksalsschläge stets freundlich selbstbewusst und zurückhaltend, während die Leidenschaftlichen „untergehen“, obwohl sie vielleicht jeden Kampf ihres Lebens gewinnen.
Der Meister seines Fachs bewahrt sich „standhaft“ seine Offenheit – gibt seine Gabe an andere Menschen, neue Schüler weiter.

„Was mein Vater mich lehrte, war nicht die Technik, sondern der Gedanke, der dahinter stand. Es war die glücklichste Zeit meines Lebens.“
The Grandmaster (Gong Er) Zitat

Nein, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Sicher nicht. Indes bietet der Film eine große Projektionsfläche für höchst unterschiedliche Deutungen. Es gibt kein richtig oder falsch, sondern unendlich viele Möglichkeiten. Dies zeichnet The Grandmaster aus.
Waagerecht, senkrecht und einfach großartig! Ich werde mir diesen Yip Man gewiss wieder ansehen …
Für mich einer der Filme, der letzten Jahre. Punkt. (Nein, nicht Punkte. Eine Quantifizierung von Kunst überlasse ich anderen.)
Weiter: House of the Flying Daggers, Musa …

PS: Auf DVD soll angeblich eine lange Version von The Grandmaster erscheinen, ich freue mich schon drauf!

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