Ulisses Spiele. Die deutsche Ausgabe der 4. Edition von Earthdawn soll zur Role Play Convention (kurz: RPC) Mitte April erscheinen. Michael Mingers, der verantwortliche Redakteur der Waldemser Spieleschmiede, nahm sich trotz Produktionsstress einiger Fragen an.
Doch bevor es losgeht, noch eine kurze Zeitreise.
Battletech und Shadowrun hatten vor mehr als zwei Jahrzehnten aus der FASA Corporation eine große Nummer in der Rollenspielszene gemacht. Im Bereich Science Fiction/Fantasy waren sie entsprechend gut aufgestellt. Etwa 1992/1993 kamen Gerüchte auf, dass sie den Rollenspielplatzhirsch Dungeons & Dungeons auf dessen eigenem Gebiet angreifen wollten. Die Losung lautete, wir machen jetzt ein Fantasy-Rollenspiel.
Die Erwartungen kochten hoch. Die im Vorfeld lanzierte Werbung mit vollfarbigen Werbeheftchen und ersten spielbereiten Charakteren und einem Einstiegsszenario deutete auf etwas Großes hin. Earthdawn erschien schließlich. Die Designer hatten D&D und andere Fantasy-Rollenspiele auseinander genommen und frisch zusammengesetzt. Jede Klasse (Disziplin) war irgendwie magisch und bestimmte die Weltsicht der jeweiligen Spielhelden, kurzlebige Orks , Obsidianer – große Steinmenschen, flatterhafte Windlinge, echsenartige T’skrang und wilde Trolle mit ihren Luftschiffen erweiterten das Œuvre der gemeinhin spielbaren Fantasyrassen markant. Magische Gegenstände boten nicht nur Modifikatoren, denn es galt ihre Geheimnisse zu ergründen und dabei neue Abenteuer zu bestehen. Dungeons waren Kaers – versteckte Trutzburgen gegen die einstmals übermächtigen dämonischen Horrors. Diese Plage hatte die Welt zuvor unter ihr grausames Joch gezwungen. Veränderungen des magischen Gefüges gestattete es den den Völkern schließlich, ihre versteckten Zufluchten zu verlassen und ihre Heimat Barsaive zurückzuerobern. Lange Rede, kurzer Sinn: Auch wenn Earthdawn nicht ganz an die Erfolge von Battletech und Shadowrun anknüpfen konnte, bleibt das High Fantasy-Rollenspiel ein stilprägender Klassiker, der vollkommen zurecht, hingebungsvolle Fans an sich binden konnte.
Mit dem für meinen Geschmack etwas zu komplexen Spielsystem wurde ich nie richtig warm, aber die Spielwelt gehört für mich zweifelsohne zu den besten. Wie gesagt, in den kommenden Wochen soll die aktuelle 4. Edition von Earthdawn auf Deutsch erscheinen. Ich freue mich darauf!
Bevor der deutsche Ansprechpartner, Michael Mingers, zu Wort kommt, einfach den nachfolgenden musikalischen Earthdawn-Vorgeschmack starten und los …
Earthdawn kann mit Fug und Recht als besonderes High Fantasy-Rollenspiel angesehen werden. Von Anfang an setzt der „kleine Bruder“ von Shadowrun unter anderem darauf, klassische Dungeons & Dragons-Tropen in einen „sinnvollen Kontext“ zu setzen. Die Spielercharaktere sind durchweg besonders begabte Adepten, Dungeons, die berühmten Kaers, sind ehemalige Bunker, die entstanden, um die Bewohner vor einem übernatürlichen Kataklysmus zu bewahren. Magische Gegenstände sind mehr als nur Bonuslieferanten, sie sind der Stoff für viele alte und neue Legenden. Wie nehmt Ihr das Rollenspiel wahr, damit es neben Das Schwarze Auge, Pathfinder und Iron Kingdoms in euer Produktportfolio passt?
Vor allem über das, was du schon eingangs geschrieben hast. Earthdawn nimmt die bekannten Elemente von Fantasy-Rollenspielen und hat um sie herum eine Fantasywelt gebaut, in der diese Elemente Sinn ergeben. Regeln, Spielkonzepte und Hintergrund bilden eine Einheit, wie man es nur selten findet.
Was sind die wesentlichen Merkmale der neuen Edition?
Earthdawn 4 setzt ja nach dem großen Krieg zwischen Throal und Thera an. Welche Auswirkungen das nun konkret für die Provinz Barsaive haben wird, wird sich nach aktueller Planung im Spielleiterbuch zeigen, wenn die entsprechenden Hintergrundinformationen verfügbar werden. Ich erwarte aber keine umwälzenden Ereignisse, die Barsaive jetzt zu einem sehr anderen Ort machen werden, als man es aus anderen Editionen kennt. Nichtsdestotrotz bin ich auch sehr gespannt, wie sich der Landstrich unter einem starken Throal entwickelt hat und welche Konflikte sich daraus ergeben, gerade mit so jungen Nationen wie dem Orkreich Cara Fahd.
Soweit ich weiß, bist Du selbst Fan. Was magst Du selbst besonders an Earthdawn? Was ist Deine persönliche Lieblings-Anekdote?
Ach, zu Beginn habe ich einen T’skrang Schwertmeister gespielt, weil ich dieses Volk und ihre Lebensweise so faszinierend fand. Bis dato war ich eher in der „gut bürgerlichen Fantasywelt“ zu Hause und so etwas spielen zu können, übte eine starke Faszination aus. Leider ist Namor dann durch meine eigene Hand gestorben, als ich ihn als Spielleiter als NSC mitführte und ein Hornbär mal zeigte, wie viel Schaden man mit einem explodierenden W20 und W4 so anrichten kann …
Der letzte Charakter, den ich gespielt habe, war ein orkischer Waffenschmied in unserer DORP-internen Kampagne, zu der es auch ein Tagebuch gibt. Da reizte mich der Konflikt zwischen der Ruhe, die die Disziplin verlangt und der unterdrückten Wildheit der Orks. Waffenschmiede finde ich total faszinierend, aber leider bekam ich in der zweiten Edition kaum sinnvolle Talente und wenn ich der Gruppe helfen konnte, dann nur zwischen den Abenteuern. „Oh, wir sind eine Woche unterwegs, erforsche doch mal die Geschichte meines Amuletts und dengel auf mein Schwert ein, um es zu verbessern“ war nicht sooo spannend. Im Nachgang hätte ich dann lieber einen Kundschafter gespielt, da seine Mischung aus Diebes- und Kampftalenten die Gruppe auch aktiv unterstützt hätten. Zudem sind wir in der Kampagne zu Beginn aus einem Kaer gestartet und hatten keinen Schimmer von der Welt da draußen, da hätte ich als Kundschafter noch mal zusätzlich Spotlights abgreifen können. Alleine die magischen Gegenstände, die wir in dieser Kampagne haben sammeln können, sollten wir mal als Download veröffentlichen, da war schon cooler Kram dabei …
Das deutsche Rollenspiel Call of Cthulhu zeigt anschaulich, dass eine Übersetzung einen ganz eigenen Charme entwickeln und damit erfolgreich sein kann. Wie unterscheidet sich das neue deutsche Earthdawn von der englischen Originalausgabe? Es wird immer wieder über deutsche Produkte gesprochen. Wie sieht die derzeitige Produktplanung aus? Wie steht der Lizenzgeber diesen Ambitionen gegenüber? Eigne Produkte des Lizenznehmers sind nicht immer ganz einfach. Unter Umständen ist Fasa an Übersetzungen deutschen Materials interessiert?
Das deutsche Earthdawn unterscheidet sich alleine optisch enorm von der Lizenzvorgabe. Wir haben einige Illustrationen deutscher Künstler hinzugefügt und ein komplett neues Layout entworfen, da wir das amerikanische Originalformat nicht übernehmen konnten. Und da wir eh auf A4 gehen mussten, haben wir uns dann auch für eine Optik entschieden, die ich als passender für die Bedürfnisse der deutschen Szene empfinde. Allerdings bieten wir mit der Softcover-Variante auch eine günstigere Ausgabe, die wieder ein schlichteres Layout aufgreift. Da bin ich gespannt, wie das aufgenommen werden wird. Wir planen einige deutsche Produkte, von einem Album mit Musik zu den unterschiedlichen Orten und Stimmungen Barsaives, über Abenteuer und Romane sowie Kurzgeschichten, bis zu eigenen Quellenbänden. Angekündigtes Material von FASA zu den Questoren und Elfenkönigreichen oder Travar klingt sehr spannend, aber wir glauben, dass neben den Fluffbänden auch mehr Material zur Verwendung am Spieltisch nützlich wäre. Da wollen wir auch mit digitalen Veröffentlichung nach und nach die Wasser testen, die dann auch ggf. als Sammelband gedruckt veröffentlicht werden. FASA ist da sehr offen, wenn es darum geht, dass wir Material für den deutschen Markt produzieren, wofür ich sehr dankbar bin! Ob dann deutsches Material auch seinen Weg in eine englische Übersetzung findet ist denkbar, aber das ist noch ein gutes Stück weit weg, als das ich mich jetzt da festlegen wollen würde.
Insbesondere im Fantasy-Rollenspielmarkt tummeln sich einige angesagte Marktbegleiter auf hohem produktionstechnischen Niveau (Vollfarbe, umfassender Support, etc.). Welche Chancen rechnet Ihr euch mittelfristig mit diesem Klassiker aus?
Oh, ich sehe ausgezeichnete Chancen für Earthdawn auf dem deutschen Markt und das nicht nur, weil es, wie du schon korrekt feststellst, ein Klassiker ist. Viele Leute verbinden tolle Erinnerungen an dieses Spiel und werden sicher noch einmal einen Blick in die neue Edition riskieren. Dass die Reihe in schwarz-weiß erscheint, sehe ich nicht einmal als Nachteil. Inzwischen hat sich der Markt ja eher dahin entwickelt, dass Bände ohne Farbe auffallen … aber selbst von Produzentenseite wird ja immer gerne noch mal mehr geboten, indem man Bücher farbig produziert oder mehr Arbeit ins Layout steckt. Ob der Markt das überhaupt so will, werden wir ja jetzt auch mit der grafisch reduzierten Softcover-Ausgabe testen. Zudem lässt es sich in Graustufen auch einfach preiswerter produzieren, weswegen wir für die deutsche Ausgabe von Earthdawn überhaupt erst einmal neue Illustrationen anfertigen lassen konnten. Das wäre bei einem farbigen Buch sehr viel wenig umfangreich bis nicht möglich gewesen, da wir im deutschen Markt über bedeutend geringere Auflagen reden, als bei einer englischsprachigen und damit internationalen Ausgabe. Und in Sachen Unterstützung der Reihe mache ich mir gar keine Sorgen, da wir sehr viel planen und auch die Fan-Szene ja gezeigt hat, dass sie das Spiel immer noch lieben und unterstützen.
Barsaive, das Setting, genießt einen sehr guten Ruf. Das eher komplexere Spielsystem wird nicht immer genauso aufgenommen. Es gab zwei offizielle eher wenig wohlwollend aufgenommene Adaptionen für Savage Worlds und Pathfinder. Letzteres verlegt Ihr sehr erfolgreich in Deutschland. Gibt es in diesem Bereich irgendwelche Ambitionen?
Wir haben in der dt. Ausgabe als alternative Stufentabelle die Mechanik aus der dritten Edition übernommen, die alle W20 und W4 aus den Proben verbannt und genutzt werden kann, wenn man weniger extreme Ergebnisse bei den Proben möchte, aber hey … es ist Earthdawn und sehr „heldige“ Ergebnisse sind auch Teil des Spiels. Darüber hinaus planen wir aber keine Eingriffe in die Mechaniken und alternative Regelsysteme für Earthdawn zu veröffentlichen ist ebenfalls nicht geplant.
Mit dem Erscheinen der neuen 4. Edition wird es in Deutschland zwei unterschiedliche Ausgaben von Earthdawn geben. Games-In bietet parallel die alte 2. Edition an. Wie steht Ihr dieser eher ungewöhnlichen Situation gegenüber?
Games-In wird auch weiterhin das Material der zweiten Edition und die Restposten der ersten Edition (Fanpro) verkaufen, kann aber kein neues Material mehr für die Linie produzieren. Ich sehe deswegen kein Problem, da es die alten Bände in absehbarer Zeit auch nicht in einer Neuauflage für die vierte Edition geben wird.
Earthdawn lebt auch von seinen engagierten Fans, die ihren Fantasy-Heartbreaker mit eigenem Material unterstützen, selbst wenn es verlagsseitig nicht ganz so gut aussieht. Mich erinnert dieses Engagement an die Warhammer Fantasy Roleplay-Szene (z. B. Warpstone Magazine). Wie steht Ihr diesen Fanbemühungen gegenüber? Wie sieht Eure Policy diesbzgl. aus? Wie steht Ihr entsprechenden Angeboten gegenüber, die gerne offiziell etwas beitragen möchten.
Wir stehen nicht nur in direktem Kontakt mit den Produzenten der alten und sehr großartigen Folianten des Abenteurers sowie anderen aktiven Fans, um ihnen zu versichern, dass wir voll hinter ihren Werken stehen, sondern werden auch mit ihnen daran arbeiten, offizielles deutsches Material zu veröffentlichen. Um es ganz klar zu sagen, wir WOLLEN Fanmaterial zu Earthdawn. Es soll sich niemand gehemmt fühlen, für die vierte Edition Kram zu schreiben und zu veröffentlichen. Wenn sich jemand unsicher ist, was er in den Fandownload packen kann, dann schreibt uns bitte unter feedback@ulisses-spiele.de und wir finden eine Lösung. Mehr noch, wir werden ähnlich wie bei Pathfinder eine Drittanbieter-Lizenz für Fanmaterial von Earthdawn anbieten, über die Autoren über eine Mikrolizenz PDFs und Print-on-Demand-Angebote über unsere Ebook-Shop gegen Geld oder Spende anbieten können. Der Großteil der Umsätze geht dann an die Macher, kleinere Teile an die Shopbetreiber, FASA und uns. Dazu werden wir noch genauere Informationen veröffentlichen. Ich bin ein großer Freund davon, Fans dazu zu animieren, Material für ihr Lieblingsspiel zu veröffentlichen, statt sie darin einzuschränken! Dankenswerterweise haben wir mit FASA auch einen Lizenzgeber, der uns in dieser Hinsicht unterstützt.
Vielen Dank und viel Erfolg für Euer Projekt. Zu guter Letzt noch eine Gelegenheit ein paar heldenhafte Worte an die Fans loszuwerden.
Earthdawn forever, Baby!
Das Earthdawn-Spielerhandbuch kann hauseigenen Verlagsshop vorbestellt werden.
Es wird drei verschiedene Ausgaben geben:
Earthdawn Spielerhandbuch (Standardausgabe – € 39,95)
Earthdawn Spielerhandbuch (Sparausgabe – € 19,95)
Earthdawn Spielerhandbuch (limitierte Ausgabe – 69,95)
Disclaimer: Ich bin mit Markus Plötz, dem Geschäftsführer von Ulisses Spiele, persönlich befreundet. Michael Mingers war während meiner kurzen Zeit in Waldems so etwas wie ein Kollege. Dieses Interview kam auf meine Initiative zustande. Darüber hinaus gibt es gegenwärtig keine Verbindungen (Werbung, etc.). Earthdawn verdient mehr Aufmerksamkeit!
Weitere interessante Artikel?
9 Kommentare