Tom Hillenbrand. Vor Kurzem veröffentlichte der Verlag Kiepenheuer & Witsch (KiWi) Drohnenland, den ersten Zukunftskrimi von Tom Hillenbrand. Auf Anfrage stimmte er freundlicherweise einem kurzen Interview zu.
Disclaimer: Den Roman habe ich mir gekauft. Zu seinem schwarmfinanzierten Rollenspielfachbuch Drachenväter, das er zusammen mit Konrad Lischka schrieb, führte ich bereits ein Interview mit Ihm. Ab und an twittern wir ein wenig hin und her. Darüber hinaus gibt es keine Verbindungen.
Achtung! (Kleine) Spoiler und Nerdkram voraus!
»Der Verstand ist oft die Quelle der Barbarei; ein Übermaß an Verstand ist es immer.«
– Giacomo Leopardi (Zitat aus Drohnenland)
Worum geht es (aus meiner Sicht) in Drohnenland: Es regnet eigentlich fast immer. Drohnen und Überwachung sind genauso nahezu allgegenwärtig. Diese technische Entwicklung macht unser Verhalten gewissermaßen vorhersehbar. Ein Abgeordneter des Europaparlaments wurde ermordet. Bei der Untersuchung des Verbrechens stellt sich erwartungsgemäß heraus, dass die Dinge nicht so sind, wie sie auf den ersten und auch zweiten Blick erscheinen. Rasch verschwimmen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und virtueller Realität. Was ist „wirklich“ passiert und wie gehen wir damit um, wenn ein großer nahezu omnipräsenter Computerbruder über uns wacht und uns ständig zur Seite steht.
Alte Humphrey Bogart-Streifen, Blade Runner, Ghost in the Shell, Minority Report, oder auch Die Wiege der Sonne wirken wie eine szenarische Blaupause, doch geht Drohnenland auch seinen eigenen „europäischen Weg“. Ähnlich wie in Neuromancer und anderen Cyberpunk-Klassikern gehört die beschriebene Technologie in eine nicht allzu ferne Zukunft, aber die beschriebene Verwicklung Brüsseler Bürokratie mit Wirtschaftsinteressen passt für mich sehr gut auch in unsere Gegenwart.
Warum in die Ferne schweifen? Die Dystopie Drohnenland liegt räumlich und zeitlich so nahe …
Auch wenn der Roman nicht die Strahlkraft der erwähnten Genremeilensteine erreicht, war es für mich gleichermaßen spannend und unterhaltsam zu lesen, wie der Autor Risse in der Patina des Vertrauten aufzeigt. Aufmerksamen Lesern mit entsprechendem Hintergrund fallen überdies immer wieder kleine, versteckte Verweise auf das nerdige Rollenspielhobby auf.
Drohnenland hat in meinen Augen etwas. Sollten Kommissar Aart van der Westerhuizen und seine Analystin Ava Bittmann also bald wieder ermitteln, wäre ich auf jeden Fall mit von der Partie. Was will man als Schriftsteller mehr? Mal sehen, wie der Autor die Angelegenheit sieht.
Auch wenn es bereits einen Klappentext und genügend Lese(r)zusammenfassungen gibt, wie würdest Du Drohnenland selbst beschreiben, wenn Du eine kurze Fahrstuhlfahrt Zeit hättest, Dein Projekt vorzustellen.
„Drohnenland“ zum einen ist klassischer Krimi, in dem ein Kommissar von Europol einen Mord aufklären muss. Gleichzeitig ist es ein Zukunftsszenario, das sich vor allem mit der Frage beschäftigt, was eigentlich mit den ganzen personenbezogenen Daten passiert die über uns gesammelt werden – und was Polizei und Geheimdienste in Zukunft damit tun könnten.
Vielleicht sehe ich Gespenster, doch an vielen Stellen hat Dein Roman etwas von einer Hommage an alte Humphrey Bogart-Filme. Nicht nur Dein Protagonist scheint ein großer Fan dieser Schwarz-Weiß-Schinken zu sein. Es regnet nahezu ohne Unterlass, die Firma Tallan Consolidated (Akronym: T. C.) erinnert an die Tyrell Corporation (ebenfalls T. C.) aus Blade Runner. Die Szene im Hamburger Hafen hat etwas von der berühmten Verfolgungsjagd im ersten Ghost in the Shell. Eine gewisse Nähe zu diesen Nerd-Dauerbrennern lässt sich meines Erachtens nicht von der Hand weisen. Beim Lesen bereitete es mir sehr viel Vergnügen nach entsprechenden Referenzen Ausschau zu halten. Hast Du diese Reminiszenzen beabsichtigt oder wie sieht es mit Deinen tatsächlichen Inspirationen aus?
Ich habe natürlich alles von Raymond Chandler (Marlowe) gelesen, außerdem viel von Philipp K. Dick und William Gibson. Insofern steht das Buch sicherlich klar der Noir/Hard Boiled-Tradition. Das mit Tallan Consolidated ist eine interessante Theorie. Ich verrate nur, dass in es „Drohnenland“ eine ganze Menge versteckte Hinweise auf Romane, Film und Comics gibt. Das gilt übrigens auch für meine anderen Bücher. Bisher hat noch niemand alle hidden messages gefunden.
Besonders faszinierend fand ich Dein Konzept der virtuellen Realität, der Spiegelungen. Hierbei wird die Wirklichkeit mehrdimensional aufgenommen und bei Bedarf sogar zeitgleich und im wahrsten Sinne des Wortes zugänglich gemacht. Das Verschwimmen der Wirklichkeit und ihrer Abbildung stellt in Deinem Roman vermutlich eines der wesentlichen Stilmittel dar. Es überlagert unter Umständen sogar die titelgebenden Drohnen. Wie bist Du darauf gekommen? Für wie wahrscheinlich hältst Du den Mirrorspace?
Ich fand die Idee des Mirrorspace nicht nur nahe liegend, sondern fast zwingend. Google besitzt beispielsweise schon heute eine Version Streetview, die detaillierter und aktueller ist als jene, die wir zu sehen bekommen. Mehr Drohnen, selbst fahrende Autos und ganz allgemein gesagt mehr Sensoren werden dazu führen, dass sich die virtuellen Räume, die wir schaffen, immer stärker der Realität annähern. Und am Ende könnte die Spiegelung, wie das in Drohnenland heißt, live und hochauflösend sein – quasi Streetciew auf Steroiden.
Zumindest an einer Stelle opferst Du nach meinem Dafürhalten die eigene Drohnen-Logik der Dramaturgie Deiner Geschichte. Besagte Aktion in Hamburg erscheint mir nicht ganz schlüssig. In meinen Augen hätte mehr oder minder ein Drohneneinsatz genügt, und das Ganze wäre deutlich risikoärmer für die Polizei gewesen. Auf diesem Weg würde zudem auch noch die distanzierte Macht des Grundmotivs der Drohnen betont. Ich denke, dieses Thema lässt sich auf verschiedenen Ebenen erörtern. Womöglich siehst Du es ganz anders, aber wie?
Ich denke nicht, dass das der Dramaturgie geschuldet ist. Sondern vor allem der Tatsache, dass der Polizeichef vom Protagonisten rasche und öffentlichkeitswirksame Ergebnisse fordert, die dieser damit liefert. Und nie die alte Regel vergessen, die bei allen Militär- und Polizeiaktionen gilt: Zurückhaltung ist oft nicht deren Ding, wer einen großen Hammer besitzt, sieht überall nur noch Nägel.
Soweit ich weiß, hast Du unter anderem Politik studiert. Der Fall Deiner beiden Protagonisten funktioniert ohne dringlich mahnenden Zeigefinger oder einfache, phrasenhafte Botschaft. Nichtsdestotrotz scheint die Geschichte auf einer politischen oder meinetwegen sozialen Vision zu basieren. George Orwells Überwachungsalbtraum 1984 gibt es bereits. Dagegen hat Drohnenland nach meinem Dafürhalten etwas von „der Banalität des Bösen“. Was steckt auf diesen Ebenen hinter Deinem dystopischen Krimi?
Der Vergleich mit 1984 liegt wegen des Sujets natürlich nahe – wobei die in Drohnenland skizzierte Zukunft auf gewisse Weise ja noch schrecklicher ist. Bei Orwell lassen sich Gedankenverbrecher nur finden, weil sie beispielsweise im Schlaf sprechen. In Drohnenland hingegen kann man die Leute mithilfe von Big Data und Prädiktion dingfest machen, ohne dass sie den Mund aufmachen müssen. Ein weiterer, gravierender Unterschied zu 1984 ist sicherlich, dass mein Buch nicht nur eine Dystopie, sondern auch ein Krimi ist und deshalb den Gesetzen dieses Genres gehorcht – bis hin zum Täter.
Du schreibst in Deinem Roman unter anderem über Troglodyten und Polyeder. Wir wissen, dass Du Rollenspieler bist. Das Setting hat etwas von Cyberpunk 2020 oder auch Shadowrun. Die Story weist einige schicke Ideen für ein Abenteuer auf. Dein Roman funktioniert sicherlich ganz hervorragend ohne Rollenspielperspektive, aber wie hat dich das kreative Hobby in diesem Zusammenhang beeinflusst?
Du hast den Verweis auf Tolkien vergessen ;) Natürlich ist die Rollenspielperspektive für einen Autor extrem prägend, ich denke viele Kollegen werden das bestätigen. Zum einen hat sie mich viel über Dramaturgie und Storytelling gelehrt – zum anderen hätte ich sonst natürlich nicht so viel fantastische Literatur gelesen. Und natürlich habe ich auch Cyberpunk-Rollenspiele im Kopf. Wobei mein Lieblingssetting nicht Shadowrun ist, sondern Cyberspace (ICE).
Erzähl bitte ein wenig über die Entstehungsgeschichte von Drohnenland. Wie lange hast Du daran gearbeitet? War es schwer für so eine eher ungewöhnliche Geschichte einen Verleger zu finden?
Von der ersten Idee über die Frage, was Prädiktion für die Gesellschaft bedeutet, waren es fast fünf Jahre. Ich hatte viele andere Projekte und habe das Buch lange mit mir rumgeschleppt und mir immer wieder Notizen zum Setting und zur Geschichte gemacht. Als meine Kladde irgendwann fast 30 Seiten hatte, da wusste ich: Jetzt musst Du’s aufschreiben. Mein Verlag, Kiepenheuer & Witsch, war zunächst in der Tat etwas verwundert, als ich mit diesem Projekt um die Ecke kam, dann aber relativ schnell zu überzeugen. Denn das ist ja nicht nur Science-Fiction, sondern auch ein klassischer Krimi.
Ich hoffe, Du schickst Aart und Ava bald wieder los. Wie stehen die Chancen, dass wir ihnen oder ihrer Welt wieder begegnen?
Ich bin noch unschlüssig. Mit der Welt würde ich gerne noch ein bisschen herumspielen, aber vorher kommen mindestens zwei andere Bücher. Könnte auch sein dass es ein Standalone bleibt, ist noch völlig offen.
Herzlichen Dank für Deine Mühe und Zeit. Falls Du noch etwas loswerden willst, hast Du jetzt die Gelegenheit dazu, den Nerd in Dir herauszulassen. Alles Gute!
Tue ich doch jeden Tag! Als nächstes veröffentliche ich mit Konrad Lischka einen Interviewband, in dem wir mit Legenden der Rollenspielszene reden. Und ich denke über einen weiteren Science-Fiction Roman nach – wenn man den Nerd einmal auslässt, ist er eben nicht mehr zu bändigen.
Die Homepage des Autoren hält selbstverständliche weitere Informationen bereit. Gute Unterhaltung im oder mit Drohnenland.
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