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Here Comes the War: Ein Plädoyer für Editionskriege!

„Was nicht umstritten ist, ist auch nicht sonderlich interessant.“, dieses Zitat wird dem deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe zugeschrieben. Von Albert Einstein soll seinerseits der Ausspruch „Ein Abend, an dem sich alle Anwesenden völlig einig sind, ist ein verlorener Abend.“ stammen. Andere bildungsbürgerliche Vordenker stehen dem Thema Meinungsverschiedenheit oder Streit deutlich kritischer gegenüber.

Zugegebenermaßen ist die vollmundige Artikelüberschrift reißerisch geraten. Die sogenannten Editionskriege, die Auseinandersetzungen, die Diskussionen oder auch Streitereien über die beste Ausgabe eines Spielsystems oder die (Un-)Qualitäten anderer Regelwerke gehören zum Rollenspielhobby, wie das runde Leder zum Fußball und die immer wiederkehrenden hitzigen Kontroversen über vermeintliche Fehlentscheidungen der Schiedsrichter. Diese Regungen sind vor allen Dingen eines: Sie sind menschlich.

Wieso, weshalb, warum? Der Beitrag Editions-Kriege auf lustigesrollenspiel.de karikiert dieses Phänomen wirklich lustig. Ich musste schmunzeln. Der süffisante, etwas überhebliche Ruf nach Popcorn, um den mitunter aufkommenden hohen Unterhaltungswert derartiger Meinungsverschiedenheiten zu unterstreichen, verleiht diesem ironischen Treiben allerdings auch einen besserwisserisch-herablassenden Anstrich. Die Spiele sind eröffnet.

Ich mag mich irren, aber nach meinen Beobachtungen und Erfahrungen sind Konflikte, das Infragestellen des Status Quo ein wichtiger Antrieb für Veränderung und Fortschritt. Sonst würden wir vermutlich noch immer in Höhlen (Dungeons) hausen, den vermeintlich zurückgebliebenen Echsennachbarn (Dragons) eins mit der Keule überziehen und einzig und allein der Roten Box von Dungeons & Dragons huldigen. Hand hoch, wer hält diese Welt für erstrebenswert?

Ich jedenfalls nicht. So weit meine Augen blicken und meine Ohren hören können, sind Auseinandersetzungen ein wichtiger Aspekt menschlichen Daseins. Entsprechend geht es darum, das Unvermeidbare in „richtige“, konstruktivere Bahnen zu lenken. Vom blasierten Danebensitzen und zuschauen, lerne zumindest ich nicht, was „gute“ Streitkultur bedeuten kann. Schwimmen lernen die Allerwenigsten im Trockenen, oder? Unsereins muss so etwas üben.

Eine angemessene Auseinandersetzung, ein „guter Streit“ führt dazu, dass ich …
… meine Argumente überprüfe, sie formulieren kann
… meine Gegenüber und deren Bedürfnisse besser kennenlerne
… eine Fragestellung, ein Problem besser erfasse,
… mich inhaltlich und persönlich entwickle
… ggf. meine Vorstellungen wieder verwerfe
… unter Umständen etwas Neues angehe und versuche

Was ist daran witzig? Ich bin kein Mediator oder Psychologe, aber das Problem scheint mir nicht zu sein, dass diskutiert oder auch (mal) gestritten wird. Das Wie macht die Musik. Nicht jeder, der eine andere Meinung vertritt, ist ein Narr oder gar ein Troll. Im Netz der unbegrenzten Möglichkeiten wird Vieles schnell respektlos oder lächerlich – womöglich zu oft auch beides.

„Here comes the war – put out the lights on the Age of Reason.“
– New Model Army – Here Comes the War

Ironie und Zynismus beiseitegelassen, womöglich ist das eigentliche Problem nicht, dass (über Rollenspiele) diskutiert oder gestritten wird, sondern das viele Beteiligte (auch die amüsierten Beobachter) nicht wissen, wie eine konstruktive Auseinandersetzung aussehen kann, weil die Streitkultur fehlt. Im Business- und Manager-Kontext wird immer wieder gerne auf „Hart in der Sache, weich zu den Menschen“ (Harvard-Konzept) verwiesen, wenn die Verhandlungen nicht ganz so rund laufen. So ganz schlecht finde ich diesen Kommunikationsansatz nicht.

Meine persönliche Grenze liegt bei persönlichen Angriffen und überflüssigen Spott über Andersdenkende. Um ehrlich zu sein, manchmal eile auch ich schneller über diese Demarkationslinie, als ich Obskures schreiben kann, doch an dieser Idee richte ich mich immer wieder aus.

Es bleibt dabei: Sowohl den Auswüchsen einiger Debatten als auch dem Begriff Editionskriege haftet etwas Unglückliches an. Diskutieren oder Streiten will eben gelernt sein. Leider ist dies allzu oft genau der Haken, obwohl Rollenspiele angeblich so kommunikativ sind. Nichtsdestoweniger bevorzuge ich in aller Regel gelungene Widerworte gegenüber opportunen Nachgeplappere, zumindest solange dabei die Form gewahrt bleibt. Die Ideen und Perspektiven anderer sind oft wesentlich spannender als meine eigenen …

We do not see things as they are, we see things as we are.
– Anais Nin (found in tremulus by Sean Preston, page II)

Nach so viel Theorie ruft die Praxis. Wo geht es bitte zum nächsten Editionskrieg? D&D Next gegen Pathfinder, New World of Darkness vs. Classic World of Darkness oder Shadowrun …

Die Rollenspiel-Comicstrips auf lustigesrollenspiel.de finde ich tatsächlich amüsant und denkanregend. Lesetipp. Popkorn bitteschön. Ich muss jetzt zum Lachen in den Keller.

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